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Warum Kenia? Warum jetzt?
Reisebericht Kenia 2025 - Am Freitag, den 21. Februar 2025, trafen wir – fünf Studierende der Evangelischen Hochschule Nürnberg und unser Professor Uwe Kaspers – am Frankfurter Flughafen ein, um die Reise nach Kenia anzutreten. Die unspektakuläre Flugreise zeigte spätestens beim Betreten der Kenya-Airways-Maschine in Amsterdam, dass die Reise uns weit weg bringen würde. Der Nachtflug brachte zwar viel zu wenig, aber doch mehr Schlaf als erwartet.
Am Samstagmorgen wurden wir von unseren Partnern des German Institute in Nairobi am Flughafen abgeholt. Zwei Gründer aus dem Raum Mainz haben in Nairobi und an weiteren vier Standorten in weniger als zwei Jahren eine Infrastruktur für qualifizierten Deutschunterricht aufgebaut. Wahrscheinlich reicht der Impact für die Fachkräfteeinwanderung dieser unternehmerischen Initiative schon jetzt über den des staatlichen Goethe-Instituts hinaus.
Die unvermeidlichen WhatsApp-Gruppen meldeten bereits am Morgen, dass unsere Partner von der Stadtmission Nürnberg, der Firma Kinderhut aus Essen und der Firma Tagwerk aus Köln auch schon eingetroffen waren.
Unsere Mission: Warum Kenia? Warum jetzt?
Ganz einfach: In Deutschland gibt es in Kitas mehr Arbeitsplätze für Erzieherinnen und Erzieher als Bewerber, während in Kenia erheblich mehr Bewerberinnen und Bewerber den sehr wenigen Arbeitsplätzen in Kitas gegenüberstehen. Also: Dies eröffnet immense Chancen, die spätestens sichtbar werden, wenn man das Problem ganz praktisch angeht und sich nicht davon abbringen lässt, konsequent eine Verwaltungshürde nach der anderen abzuräumen. Bei Reiseantritt waren noch nicht alle Hürden bewältigt, aber das Problem des Arbeitskräftemangels wird jeden Tag ein wenig größer, und wir sind sicher, dass wir kenianischen Erzieherinnen und Erziehern einen Arbeitsplatz in Deutschland anbieten können.
Der zweite Teil unserer Mission betraf eine Hochschulpartnerschaft mit einer Hochschule "upcountry" am Victoriasee. Die Vermittlung dorthin erfolgte ebenfalls über das German Institute, und so fiel das "blind date" auf die Maseno University. Nach zwei Zoom-Sitzungen mit der dortigen Dekanin Maureen Olel wollten wir unseren Antrittsbesuch machen. Wir sind ja schließlich eine "Begegnungshochschule".
Nairobi (Samstag)
Nach etwas Ausschlafen im Airbnb im gehobenen Stadtteil Kilimani trafen wir uns auf dem 12. Stock des Hochhauses an der Nordspitze der Innenstadt von Nairobi.
Dort hat das German Institute seine Räume. Unsere Praxispartner aus Deutschland – wie wir mehr oder weniger gezeichnet von der ersten kurzen Nacht – waren auch schon da. Die Unterkünfte verteilten sich auf unterschiedliche Luxusklassen, keine unserer Unterkünfte hatte auch nur im Entferntesten etwas mit den durchschnittlichen Wohnverhältnissen einer Kenianerin oder eines Kenianers zu tun. Wir haben zwar das Land betreten, aber in kaum einer Weise das Leben in unserem Zielland geteilt.
Die allermeisten der 36 ausgebildeten Bachelorandinnen in Early Childhood Education waren auch schon da. Es gab die ersten freundlichen und verhaltenen "Hallos". Sebastian Ohle von der Stadtmission Nürnberg hatte in der Vorbereitung zum Glück die naheliegende Idee eingebracht, dass wir uns zum Kennenlernen in einem Park treffen könnten, um dort Kennenlernspiele zu erleben. Nun ist es gar nicht so einfach mit einem Park in Nairobi. Aus den 1980er Jahren kenne ich noch den Uhuru-Park (Freiheitspark) in Nairobi. Der ist mittlerweile abgesperrt, und die Leute sagen, dass man dort, wenn man hin gelangt, leicht überfallen werden kann, weil es dort keine Wachleute gibt. Aufgrund des Mangels an öffentlicher Sicherheit gehen wir also in einen privaten Park. Dieser Park ist eingezäunt und bewacht. Das zentrale Eingangstor lässt sich mit einem Eintrittsgeld, das unsere Gastgeber freundlicherweise bestreiten, überwinden. Bereits auf den ersten 500 Metern bis zum Park wird die unglaubliche Kraft der Sonne und unser, der hohen Temperatur geschuldeter, immens großer Trinkbedarf deutlich.
Nach einigem organisatorischen Hin und Her und einer großen Vorstellungsrunde legten die Erzieherinnen los. Wir bekamen am eigenen Beispiel einen ersten Eindruck, wie es in einer kenianischen Kita zugeht, und kooperierten bereitwillig, weil wir uns tatsächlich so ein wenig kennenlernten und viele lustige Situationen entstanden. Das alles bot lustige Herausforderungen, z.B. im Bereich kenianischer Tanz sowie kleine sportliche Sprints im Kreis nach dem Muster "Der Plumpssack geht um". So kamen einige übermüdete und von der Sonne erhitzte Körper bereits jetzt an ihre Leistungsgrenze. Dabei kommt Nairobi auf 1.800 Meter Höhe unserer Klimazone vergleichsweise nahe. Klimatisch sind wir noch gar nicht in Kenia.
Danach gab es zum Glück Wasser, und uns wurden Mandazis, ein kenianisches, süßes Gebäck – eine Art Krapfen in festerer Form ohne Füllung – gereicht.
Zurück im Institut erhielten wir von den Bewerberinnen einige Basisinformationen über Kenia – dies auf Deutsch als erster Beweis der erworbenen Sprachkenntnisse der angehenden Kolleginnen für die deutschen Kitas. Musik und gemeinsame Bewegung sind wichtig in Kenia. Eine Erzieherin spielte uns die deutsche Nationalhymne auf der Blockflöte vor.
Nairobi (Sonntag)
Am Sonntag führten die Vertreter der Unternehmen bereits den ganzen Tag Bewerbungsgespräche. Einige Studierende konnten zum Teil an Gesprächen teilnehmen. Wir führten eigene Interviews durch, um die Ergebnisse später in eine Bachelorarbeit einfließen zu lassen.
Ich hatte schon am Tag vorher versucht, eine Gitarre leihweise zu besorgen. Es ist auch gelungen, über eine Erzieherin einen Bekannten ausfindig zu machen, der bereit war, eine Gitarre zu verleihen. Ich hatte ihn gebeten, eine faire Leihgebühr aufzurufen. Darin mag der gute Mann die Chance seines Lebens gesehen haben und rief für den Verleih einer Gitarre für zwei Tage 100 Euro auf. Damit war er natürlich "raus aus dem Geschäft". Da ist sie wieder: die von mir auch schon früher gemachte Erfahrung, dass einige Menschen in Kenia die Chancen eines langfristigen Kooperationserfolgs nicht sehen und sich durch übermäßiges Ausbeuten einer kurzfristigen Gelegenheit letztlich alles verbauen. Verhaltensökonomisch betrachtet werden die Situationen von den Akteuren zu oft als "final round" – einmal abzocken und nie wieder sehen – betrachtet.
Der Tag diente auch dazu, die weitere Logistik der Reise zu klären. Es war meine Idee, den Studierenden – vielleicht letztmalig auf dem Rückweg von Maseno – den Nachtzug von Kisumu nach Nairobi zu präsentieren. Es handelt sich um einen völlig veralteten Zug, der die vielleicht 500 Kilometer lange Strecke in 12 Stunden zurücklegt. Am Ende der Strecke fährt man durch Kibera – ein sehr großes Slumgebiet in Nairobi. Dorthin würde man sich nicht "einfach so" trauen zu gehen. Da der Zug über Liegewagen und einen Speisewagen verfügt, könnten wir eine Nacht die Unterkunft sparen und ein tolles kulinarisches Erlebnis auf dem Rückweg durch den afrikanischen Grabenbruch genießen. So habe ich es mehrere Male in den 1980er und einmal in den 2000er Jahren gemacht.
Daraus wurde leider nichts. Am Bahnhof erklärte uns die freundliche Mitarbeiterin am Servicepunkt, dass eine Überflutung einen Teil der Bahnstrecke zerstört habe, sodass wir unterwegs umsteigen müssten und wahrscheinlich nicht mehr pünktlich Nairobi erreichen würden, um am Morgen in den nagelneuen – von den Chinesen gebauten – Zug nach Mombasa umzusteigen. Also ein Abenteuer weniger.
Nairobi (Montag)
Am Montagmorgen sollte es zu einem Termin mit der Nairobi University kommen. Dieser wurde leider kurzfristig ohne Grund abgesagt. Ich erledigte tagsüber Onlinearbeit in Deutschland und stellte fest, dass die Zoom-Verbindung von Nairobi nach Deutschland teils besser war als die Verbindung innerhalb Deutschlands. Nairobi ist halt der Hub für Expats in Afrika. Die Studierenden schauten Nairobi vom Dach des Kenyatta Conference Center an und besuchten eine Giraffenstation.
Tagsüber verfolgte ich, ob es dem German Institute gelang, eine andere Gitarre zu besorgen. Dies war tatsächlich der Fall. Die Liederzettel für das Udo-Jürgens-Stück "Ich war noch niemals in New York" waren schnell erstellt. Am Abend besprachen wir dann zwei Deutschklassen im Institut den Text. Vor uns hatten wir Menschen, die vorhaben, ihr Leben wirklich grundlegend zu verändern. Der Songtext behandelt die Denke des kleinen Mannes, der auf dem Weg zum Zigarettenautomaten mal kurz den Traum durchlebt, alles anders zu machen, um dann doch wieder in den Alltag zurückzukehren. Aufbruch trifft Aufbrauch. Alle sangen am Ende beschwingt mit.
Nairobi (Dienstag)
Wir schauten uns eine private Kindertagesstätte an. Die Unterschiede in der Pädagogik wurden augenfällig: mehr Kinder, weniger Individualität, mehr Vorführen und Nachahmen, weniger Verstehen, mehr Zählen und Buchstabieren, weniger Spiel.
Ich kehrte auch an diesem Tag zur Onlinearbeit in die Unterkunft zurück. Die Zeitverschiebung von zwei Stunden erlaubte es, um 8 Uhr in der Kita in Nairobi und um 9:00 bzw. 11:00 Uhr kenianischer Zeit bei einer Diakonie in Deutschland zu sein.
An beiden Nachmittagen/Abenden führten die Träger weitere Bewerbungsgespräche.
Jobinterviews
Einige Bewerberinnen erhielten zwei Jobangebote, andere eines, die meisten erst einmal keines. Es wird weitere Chancen für Erzieherinnen aus Kenia in Deutschland geben. Mehr und mehr Träger werden einsehen, dass aus Ungeborenen keine Erzieherinnen werden können. Wer die Chance liegen lässt, hochmotivierte Fachkräfte zu akquirieren, endet, wenn 2031 wirklich Fachkräftemangel herrscht, mit "Nichts". Um mit Robert Habeck zu sprechen: Unsere Ideologie ist die Wirklichkeit.
Am Abend war der erste Teil unserer Reise schon vorbei und die erste Mission erfüllt. Die Voraussetzungen für die erste Rekrutierung von Erzieherinnen aus Kenia in den deutschen Arbeitsmarkt waren geschaffen. Die Unternehmensvertreterinnen und -vertreter waren zufrieden.
Die Gruppe teilte sich nun. Einige flogen schon am Donnerstag wieder nach Deutschland, andere verbanden noch Strand und Safari, andere schauten sich noch Sprachschulen an anderen Standorten an.
Reisetag nach Kisumu (Mittwoch)
Wir fuhren mit dem Bus von Nairobi nach Kisumu. Die Stadt war schon am Morgen heiß und "knallvoll". Endlich fühlte es sich nach Afrika an. Hitze, schlechte Toiletten, wenig Trinken (zur Vermeidung der Toiletten), wenig Essen, schlechte Straßenverhältnisse, Probleme bei der Suche nach der Unterkunft, einfache Verhältnisse dort und ein Gefühl der Unsicherheit führten zu Grenzerfahrungen. Hinzu kamen wahrscheinlich erste Unverträglichkeiten der Malariaprophylaxe. Der Victoriasee ist Malariagebiet. Die Wahl zwischen erhöhtem Malariarisiko ohne Prophylaxe und Erbrechen wegen Malariaprophylaxe ist kein Vergnügen.
Mit unserer Unterkunft in Nairobi und den ständigen Fahrten mit Uber-Taxis waren wir noch gar nicht in Kenia angekommen. Das war nun wirklich anders.
Maseno (Donnerstag)
Ohne jeden Plan, was uns erwartet, brachen wir wieder per Uber in das 30 Kilometer entfernte Maseno auf. Auch das ist Kenia – und zwar auf dem Land. Der Ort ist – ähnlich wie Greifswald – von der Universität völlig dominiert. Maseno liegt an der Hauptverbindungsstraße zwischen der Ostspitze des Victoriasees und Uganda. Unzählige oft überladene LKWs quälen sich dort durch die hügelige Landschaft in Richtung ugandischer Grenze und später Kampala. Der wohl ursprüngliche Campus an der Hauptstraße schien flächenmäßig schnell überlastet, sodass ein weiterer Campus am Ortsrand in einer bewaldeten Gegend nun die Hauptaktivitäten beherbergt. Der Clou dieses Ortes ist, dass der Äquator die Universität "zerschneidet". Diese Tatsache sollte noch einen Fun Fact mit sich bringen.
Wir kamen natürlich zunächst am falschen Campus an und machten uns per Taxi zum richtigen Campus auf. Dort wurden wir von der Dekanin – Prof. Maureen Olel – freundlich empfangen und stellten uns vor. Anschließend kam es zu einem vergleichsweise offiziellen und doch inhaltlich bereits sehr tiefgehenden Gespräch mit dem Direktor der Hochschule sowie einer ganzen Reihe von administrativ tätigen Repräsentanten. Wir wurden sehr geschmackvoll mit Chapatis (kleine Pfannkuchen), Süßkartoffeln und Hühnchenteilen versorgt, und es gab ausreichend zu trinken, was bei der Hitze dort (36 Grad) unerlässlich war. Anschließend begann eine Rundtour durch das Gelände der Universität. Wir sahen große Hörsäle, die Bibliothek, die Online-Bibliothek, große Bauten mit Studentenzimmern (nach Geschlechtern getrennt mit jeweils einem Doppelstockbett pro Zimmer). Kurze Zufallskontakte gaben uns einen kleinen Einblick in das tägliche Leben auf dem Campus. Offensichtlich reichen die Räume für 20.000 Studierende zum Teil nicht aus, sodass einige Lehrveranstaltungen in etwas abgeschiedenen Durchgängen oder im Innenhof von Gebäuden stattfanden. Der Leiter der Bibliothek, mit dem ich über die Verfügbarkeit von Online-Literatur diskutierte, gab an, dass nach seiner Schätzung rund 20 % der Studierenden über einen Laptop verfügten; weitere 20 % könnten digitale Medien über das Smartphone nutzen. 60 % der Studierenden sind also auf die vielfach in großen Sälen bereitgestellten Windows-PCs angewiesen. Ein Blick über die Schulter einiger Studierender zeigte, dass die Rechner Fachliteratur mindestens ebenso gut verarbeiten wie Textprogramme und Online-Adventure-Spiele.
Unsere Tour machte Halt an einer der Stellen auf dem Campus, an der der Äquator genau markiert ist. Ein Mitarbeiter der Universität empfing uns mit einem Eimer, der unten ein Loch hatte. Viele kennen wahrscheinlich die Corioliskraft, die dazu führt, dass beim Ablaufen der Badewanne das Wasser rund um den Ablauf rechtsdrehend verschwindet. Nun standen wir auf dem Äquator. Der Kollege inszenierte das Experiment wirklich sehr spannend. Wir begaben uns nun nur rund 10 Meter nördlich des Äquators. Das Wasser lief durch das Loch im Eimer nach unten ab. Ein hineingeworfenes trockenes Blatt drehte sich nach kurzer Zeit auf der abnehmenden Wasseroberfläche rechts herum. Mir war es schon irgendwie einsichtig, dass es einen Unterschied zwischen Stockholm und Johannesburg geben müsste, aber der Effekt, dass das selbe Experiment nur 10 Meter südlich vom Äquator zu einer Drehung in die genau entgegengesetzte Richtung führte, war doch mehr als verblüffend. Jetzt wollten wir es wissen: Wir stellten den Eimer exakt auf den Äquator. Das Wasser lief nach unten ab – sehr beruhigend, dass auf die Schwerkraft auch genau auf dem Äquator noch Verlass war – aber das auf die Wasseroberfläche geworfene Blatt konnte sich partout nicht entscheiden, in welche Richtung es sich drehen wollte. Tja, so etwas kann man nur in einer Hochschule, die genau auf dem Äquator liegt, erfahren.
Uni auf dem Äquator
Wir beschlossen den Tag mit einem weiteren Treffen bei der Dekanin, um den nächsten Tag etwas vorzusprechen. Wir wurden dann in unserer kleinen Gruppe in einem großen Bus wieder zurück nach Kisumu gebracht. Auch hier hat die Hochschule einen Campus. Zielgerichtet steuerten wir den örtlichen High-End-Supermarkt an und verschafften uns einen Lebensmittelvorrat, der unseren Anforderungen als Europäer ziemlich gut gerecht wurde.
Da wir uns nun ganz gut auskannten und sahen, dass die Leute um uns herum keine Bedrohung, sondern gerade das Gegenteil waren, stieg auch das Sicherheitsgefühl.
Maseno (Freitag)
Am nächsten Morgen gingen wir zu Fuß von unserer Unterkunft in die Innenstadt, um dort wieder von dem Bus der Schule abgeholt zu werden. Einige der 20.000 Studierenden wurden früh am Morgen vom Campus in Maseno nach Kisumu gebracht, sodass der Bus für uns auf der Rückfahrt zum Hauptcampus zur Verfügung stand. Das war sehr bequem.
Die Kolleginnen und Kollegen hatten für uns eine kleine Konferenz organisiert. Wir hatten sechs Vorträge vorbereitet, die wir nacheinander präsentierten. Laura Miszka gab eine Einführung in deutsche und bayerische Lebensart und Aspekte, die man mit Fug und Recht als typisch deutsch bezeichnen kann.
Anschließend stellte ich die jeweils absolut prekäre demografische Situation unserer Länder dar. Kenia mit einem extremen Überschuss an jungen Menschen, Deutschland mit einem extremen Überschuss an bald alten Menschen. Was liegt näher, als ein neues Land zu entwerfen, das jeweils zur Hälfte aus Kenianern und Deutschen besteht. Das Land heißt Kenmany, wo sich alle demografischen Disparitäten wundersam ausgleichen.
Anschließend ein kleines Spiel: Rechts stehen sechs Stühle, links stehen zwei Stühle. Rechts ist Deutschland, links ist Kenia. Die sechs Stühle zur Rechten besetzte ich mit eher älteren Personen aus dem Auditorium. Sie repräsentierten die Menschen in Deutschland in den letzten zehn Jahren ihrer Erwerbsbiografie. Auch die nur zwei Stühle zur Linken, also in Kenia, besetzte ich mit älteren Zuhörern. So stellen sich tatsächlich die Verhältnisse der biografisch ausscheidenden arbeitenden Menschen in beiden Ländern dar. Dahinter postierte ich nun die jungen Menschen. Hinter den sechs noch mit Alten besetzten Stühlen zur Rechten, also in Deutschland, stehen nur vier junge Menschen, also diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen. Zur Linken in Kenia stehen hinter den zwei Stühlen aber acht junge Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen. Im nächsten Schritt des Spieles schicke ich nun die beiden Kenianer und die sechs Deutschen "in Rente". Ihre Arbeitsplätze wurden also frei. Nun standen also acht junge Kenianer vor zwei leeren Stühlen und vier Deutsche vor sechs. Die vier Deutschen konnten also mühelos einen Platz nehmen, aber nur zwei der acht Kenianer.
So verblieben nun sechs unversorgte Kenianer. Zwei der sechs nahmen die beiden freien Plätze in Deutschland ein. Es blieben noch drei und versorgte Kenianer. Ein weiterer Stuhl kam ins Spiel. Ich stellte einen Stuhl in Deutschland auf und positionierte einen Laptop auf dem Stuhl. Es handelte sich um einen Computerarbeitsplatz in Deutschland, der aber mangels Arbeitskräfteangebot nach Kenia transferiert werden kann. Da Online-Arbeit nicht ortsgebunden ist, kann diese Wertschöpfung auch in Kenia geschehen. Ein weiterer junger Kenianer kann Arbeit finden. Für die beiden weiteren unversorgten Kenianer bleibt die Hoffnung auf weiteres Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen Aufbau von Arbeitsplätzen im Inland.
Die kleine Visualisierung mit den Stühlen und Menschen war hoffentlich für alle recht instruktiv. Wir können daraus lernen, dass es ein vergleichsweise naiver Gedanke ist, dass wir im Falle von Kenia durch Arbeitsmigration angesichts einer derartigen demografischen Verwerfung der Gesellschaft, aus der wir rekrutieren, schaden könnten. Es liegt nahe, dass der Nutzen deutlich überwiegt.
Anschließend beschrieb Sebastian Emmert anhand von aktuellen Arbeitsmarktdaten mit vielen Grafiken die Arbeitsmarktlage im Sozial- und Gesundheitswesen in Deutschland und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für Einwanderer.
Tina Pirkl verdeutlichte – unterlegt mit vielen Fotos – einen typischen Arbeitstag in einer deutschen Kindertagesstätte, sodass sich die Zuhörer einen plastischen Eindruck verschaffen konnten. Wahrscheinlich fiel auf, dass es so wenig nach Schule aussah. Loise Boakye erläuterte dann wesentliche soziale Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland sowie die Regelungen über den Familiennachzug für Einwanderer. Gerade an das letzte Thema knüpften sich einige Fragen.
Abschließend beschrieb Lucia Kummer die wesentlichen Vorkehrungen für Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte in Deutschland; schließlich waren in Nairobi alle Bewerberinnen bisher Frauen.
Viele Beiträge lösten eine rege Diskussion aus, sodass wir völlig aus dem Zeitplan gerieten.
Unsere kenianischen Partner erläuterten die wesentlichen Funktionen und pädagogischen Grundlagen von Early Childhood Education in Kenia allgemein und speziell an der Universität von Maseno. Die Veranstaltung, die morgens um 9:30 Uhr begann, endete gegen 15:30 Uhr mit dem Programm, das bis zur Mittagspause vorgesehen war.
Der Tag war sehr intensiv und hoffentlich lehrreich für beide Seiten. Die Hitze machte vielen ganz schön zu schaffen. Wir wurden anschließend zu einem sehr üppigen Mittagessen eingeladen, dessen Gehalt für uns bis in die Nacht ausreichte. Beim Essen diskutierten wir die nächsten Schritte einer möglichen Kooperation zwischen Nürnberg und Maseno. Wir wurden herzlich verabschiedet und wieder im großen Bus nach Kisumu gebracht.
Kisumu (Samstag)
Am Samstag konnten wir endlich ausschlafen. Nach dem anstrengenden Freitag waren zwei von uns krank. Mit verkleinerter Gruppengröße kauften wir noch einmal in Kisumu ein und liefen bei glühender Hitze ein wenig durch die Straßen der Stadt, die ich vor 42 Jahren erstmals besucht hatte. Anschließend fuhren wir zu einem Club am Victoriasee, wo es leckeren Fisch zu essen gab. Wir trafen dort noch einmal mit einem Deutschlehrer des German Institute, der in Eldoret unterrichtet. War es der Fisch oder das Essen vom Vortag? Nur noch zu zweit wollten wir der Einladung in einen weiteren Club am Seeufer folgen. Wir sagten dort Kwaheri (auf Wiedersehen auf Swahili) zu unserem Partner Kerem Akdogan, dem Leiter des German Institute, und zu Peter, dem Deutschlehrer aus Eldoret.
Damit endete der Teil der Studienreise, der unsere Mission betrifft. Es folgte nun der wohlverdiente Freizeitteil der Reise. Krankheiten auskurieren, Safari, Strand.
Fazit
Wir haben dazu beigetragen, dass mindestens acht Kenianerinnen ihrem Ziel, in Deutschland in Kindertagesstätten Arbeit zu finden, einen deutlichen Schritt näher gekommen sind. Außerdem haben wir den Grundstein für eine Hochschulpartnerschaft zwischen der Evangelischen Hochschule Nürnberg und der Maseno University im Bereich Early Childhood gelegt.
In einem Outline für die zukünftige Kooperation zwischen der EVHN und der Maseno University habe ich ein Zwei-Wege-Modell vorgeschlagen: A) Zum einen helfen wir, in Deutschland Arbeitgeber bereitzustellen, die Absolventinnen und Absolventen im Bereich Early Childhood Education Arbeitsplätze in deutschen Kindertagesstätten bieten. Hier geht es also um die Förderung von qualifizierter Arbeitsmigration. B) Zum anderen wollen wir mit unserer Expertise im Bereich des Sozialmanagements Absolventinnen und Absolventen der Maseno University dazu verhelfen, durch Gründung von eigenen Kindertagesstätten das Arbeitsangebot für diese Berufssparte im Inland zu verbessern. Dazu ist angedacht, eine Pilot- und Demonstrations-Kindertagesstätte auf dem Campus der Maseno-University zu gründen, aktiv zu schalten und wirtschaftlich tragfähig zu finanzieren. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.
Klimabilanz
Ohne Inlandstransport mit Autos und Bussen hat die 14-tägige Reise 3,889 Tonnen CO2 pro Person verursacht. Zum Vergleich: ein durchschnittlicher Bürger Kenias verursachte in 2023 in 365 Tagen 0,38 Tonnen CO2 - Tendenz stark steigend. Leider konnten wir nicht an einem Programm von KLM für Sustainable Aviation Fuel teilnehmen, da KLM dies für Flüge mit Codesharing mit Kenya Airways nicht öffnet. Damit das von uns zu verantwortende CO2 tatsächlich an anderer Stelle weniger emittiert wird, erwerben wir an der Börse für den Europäischen CO2-Zertifikate-Handel in Leipzig entsprechende CO2-Zertifikate. Dadurch reduzieren wir das Budgets anderer Emittenten (z.B. Kraftwerke, Stahlwerke oder Gießereien) bezüglich der für sie verfügbaren Verschmutzungsrechte, weil das von uns erworbene und mit der Reise ausgeschöpfte Recht damit "vom Markt ist". Wir haben uns vorab auf eine entsprechende Kompensation "committed". Nur so sind Studienfahrten dieser Art überhaupt noch vertretbar.
Nairobi, Kisumu, Kilifi und Bonn im Februar und März 2025
gez. Uwe Kaspers